Öffentlich sichtbar – aber nicht jederzeit verfügbar.
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Öffentlich sichtbar – aber nicht jederzeit verfügbar.
Ich frage mich schon länger welche Erwartungen Menschen an öffentlich sichtbare Personen haben. Offenbar gehört es dazu, jederzeit freundlich, offen, gesprächsbereit und gut gelaunt zu sein – unabhängig davon, wie es einem wirklich geht.
Ich bin ein Mensch. Und ich bin introvertiert.
Ich wähle Begegnungen bewusst. Nähe und echte Verbindung sind mir wichtig – aber ich brauche dafür Raum, Zeit und ein Gefühl von Freiwilligkeit. Ich gebe gern. Zum Beispiel in meinen Workshops. Dort trete ich aus meiner Zurückgezogenheit heraus, teile mein Wissen, schaffe Räume für Begegnung und begleite Menschen – vor allem Frauen – auf dem Weg zu mehr Selbstvertrauen im Machen.
Aber danach brauche ich Rückzug. Ich brauche Stille, Ruhe, Ausgleich. Ich muss Kraft sammeln, um wieder ganz bei mir anzukommen. Denn ein ganzer Tag, an dem ich im Außen bin, kostet mich Energie. So wie manche sich durch Austausch aufladen, lade ich mich im Alleinsein wieder auf.
Was viele nicht sehen: Wie anstrengend es ist, ständig für andere Menschen offen zu sein – oft ohne Vorwarnung. Im Supermarkt, beim Gassi gehen, auf Veranstaltungen. Und wie selbstverständlich es für andere wirkt, dass ich mich freue, Zeit habe, bereit bin für ein Gespräch oder ein Foto – selbst dann, wenn ich eigentlich gerade etwas ganz anderes brauche.
Ich bin nicht unfreundlich. Ich bin nur nicht immer offen – und das ist ein Unterschied.
Ich wünsche mir mehr Verständnis dafür, dass Sichtbarkeit nicht gleich Verfügbarkeit bedeutet. Und mehr Respekt für Grenzen. Dazu gehört auch, höflich zu fragen, ob ein Gespräch gerade passt – und ein Nein genauso selbstverständlich zu akzeptieren wie ein Ja.
Denn echte Begegnung beginnt mit gegenseitigem Respekt.
Foto:Sascha Etzbach